Ernährung & Gesundheit
kontrovers

Interview mit dem Krebs-Biologen Dr. med. Johannes Coy

zurück zum Artikel

Das wiedererwachte Interesse an einer wissenschaftlich fundierten Ernährung, die das Fortschreiten von Krebserkrankungen bremsen kann, verdanken wir dem Tumorbiologen Johannes Coy.

UG: Herr Dr. Coy, was hat Sie dazu gebracht, sich mit der Ernährung von Krebspatienten zu beschäftigen?

Coy: Am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg entdeckte ich 1995 das TKTL1-Gen, das man zunächst für funktionsunfähig hielt. 2005 konnte ich dann nachweisen, dass das TKTL1-Gen ein funktionsfähiges Enzym zur Zuckerverarbeitung bildet und dass dieses Enzym bei bestimmten Krebsformen besonders aktiv ist. Da Krebspatienten mit eingeschaltetem TKTL1-Enzym schneller verstarben, suchte ich nach einer Erklärung. Ich fand die Forschungsarbeiten der beiden Nobelpreisträger Otto Warburg und Albert Szent-Györgyi, die schon früh erkannt hatten, dass Krebszellen ihre Energie vorwiegend durch die Vergärung von Zucker zu Milchsäure gewinnen. Dieser Weg war bisher nur von Bakterien bekannt – etwa, wenn man Milch offen stehen lässt und sie sauer wird. Durch die Gärung werden relativ ungefährliche zu besonders aggressiven Krebszellen, die kaum noch auf Strahlen- und Chemotherapie ansprechen. Da diese Zellen von der Versorgung mit Zucker abhängig sind, landete ich automatisch bei Ernährungsfragen.

UG: Wie lassen sich Ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse in der täglichen Ernährung umsetzen?

Coy: Die gute Nachricht ist, dass die aggressiven Tumoren durch ihren hohen Zuckerverbrauch angreifbar werden. So gewinnen die betroffenen Patienten eine zusätzliche Option für die Therapie. Man kann diesen Krebszellen das Leben schwer machen, indem man auf Lebensmittel verzichtet, die bei der Verdauung viel und schnell Glukose freisetzen: auf Weißmehl, Nudeln, Kartoffeln und Süßspeisen.
Weiterhin empfehle ich ungehärtete Pflanzenöle wie Lein-, Hanf- oder Rapsöl sowie Kaltwasserfische wie Hering, Makrele oder Lachs. So werden reichlich ungesättigte Omega-3-Fettsäuren aufgenommen, die zum Schutz vor Auszehrung beitragen. Auch ausreichende Mengen gesättigter Fettsäuren tierischen und pflanzlichen Ursprungs sind erlaubt. Fleisch sollte bevorzugt von Tieren aus Weidehaltung stammen, schon wegen der gesünderen Fette. Vergorene Lebensmittel, die viel Milchsäure und wenig Kohlenhydrate enthalten, können den Gärungsstoffwechsel der Tumorzellen ebenfalls unterdrücken. Über Obst, Salate und stärkearme Gemüse, möglichst aus biologischem Anbau, bekommt der Körper sekundäre Pflanzenstoffe, die Krebs hemmend wirken. Beim Obst würde ich eher alte Sorten oder Beerenobst empfehlen, da die neueren Trauben-, Orangen- und Apfelsorten auf einen höheren Zuckergehalt hin gezüchtet wurden.

UG: Können Krebspatienten mit einer solchen Diät wieder gesund werden? Wirkt sie bei allen Krebsarten?

Coy: Ein wesentliches Ziel in der Ernährung von Krebspatienten sehe ich darin, die Auszehrung und die oft dramatischen Gewichtsverluste zu verhindern. Krebspatienten können durch eine öl- und eiweißreiche Ernährung Lebensqualität und auch Zeit gewinnen und für weitere Therapien nutzen. Da Omega-3-Fettsäuren zudem die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Chemo- und Strahlentherapien erhöhen, steigen durch eine Ernährungsumstellung auch die Heilungschancen. Eine zucker- und kohlenhydratarme Ernährung lohnt sich besonders für jene Patienten, deren Krebszellen Glukose zu Milchsäure vergären. Das kann bei den verschiedensten Krebsarten zutreffen. Deshalb ist es sinnvoll, einen Test durchführen zu lassen, der anzeigt, ob das TKTL1-Gen im Tumorgewebe eingeschaltet ist.

UG: Müssen nicht erst weitere Studien abgewartet werden, bevor man Krebspatienten Ihre Kost empfiehlt?

Coy: Meine Ernährungsempfehlungen für Krebspatienten sind eine Kombination aus erfolgreichen Therapieansätzen und wissenschaftlichen Erkenntnissen verschiedener Ärzte und Krebsforscher. Sicher sind weitere Studien nötig, doch sehen wir bereits jetzt, dass es den Patienten mit unserer Kost besser geht.

UG: Sollten sich auch gesunde Menschen so ernähren, um einer Krebserkrankung vorzubeugen?

Coy: Ursprünglich wollte ich nur eine Diät für Krebspatienten mit Glukose-abhängigen Tumoren entwickeln. Inzwischen bin ich jedoch zu der Überzeugung gelangt, dass eine Ernährung, die nur wenig und langsam Glukose freisetzt, die gesündeste Form der Ernährung ist. Damit lassen sich Krebs und andere Zivilisationskrankheiten auch verhüten. Der Münchner Ernährungswissenschaftler Dr. Nicolai Worm hat diese als LOGI bezeichnete Ernährungsweise bei Forschern der Elite-Uni Harvard kennen gelernt und in Deutschland trotz erheblicher Widerstände bekannt gemacht.
Für diese Kost spricht auch, dass zum Beispiel traditionell lebende Eskimos, die über Fleisch und vor allem Fisch viele Omega-3-Fettsäuren aber kaum Kohlenhydrate verzehrten, nicht an Krebs, Alzheimer, Diabetes oder Herzinfarkt starben. Auch die mediterrane oder die asiatische Küche, wenn sie reich an Fisch und Gemüse sind, weisen auf den schützenden Effekt einer solchen Ernährung hin.
Die typische westliche Ernährungsweise, die durch einen hohen Konsum von kohlenhydratreichen Lebensmitteln gekennzeichnet ist, die bei ihrer Verdauung sehr schnell und viel Glukose freisetzen, geht mit einem Anstieg vieler Zivilisationskrankheiten einher. Lebensmittel, die viel Zucker und stärkehaltiges Mehl enthalten, sollte man daher generell nur in Maßen konsumieren. Spannend finde ich, dass derzeit immer mehr gesunde Menschen ihre Ernährung entsprechend ändern, weil sie sich damit wohler fühlen und keine Gewichtsprobleme mehr haben.

UG: Sie haben eine Firma mit gegründet, die zur Erleichterung der Ernährungsumstellung spezielle Lebensmittel für Krebspatienten anbietet. Kommt man auch ohne diese aus?

Coy: Nachdem mir die Zusammenhänge zwischen der Aggressivität der Krebszellen und der Ernährung klar waren, habe ich Patienten empfohlen, auf Glukose und Kohlenhydrate weitgehend zu verzichten und ausreichend Omega-3-fettsäurereiche Pflanzenöle sowie eiweißreiche Lebensmittel zu konsumieren. Doch mit diesen Ratschlägen ist den Krebspatienten meist nicht geholfen. So sind nur wenige in der Lage, im Alltag auf Brot und Nudeln zu verzichten – selbst wenn akute Todesgefahr besteht. Daher habe ich zusammen mit innovativen Firmen spezielle Lebensmittel entwickelt, die die notwendige Ernährungsumstellung erleichtern.
Dazu gehören wohlschmeckende Pflanzenölmischungen, für die an der Universität Würzburg die hemmende Wirkung auf das Wachstum von menschlichen Tumoren gezeigt werden konnte. Es gibt ein Brot, das sehr gut schmeckt, aber kaum Glukose freisetzt. Es hat einen hohen Gehalt an Eiweiß und Ballaststoffen. Durch die Verwendung von Hanf-, Lein- und Sesamsamen ist es ölreich mit besonders vielen Omega-3-Fettsäuren. Daneben entwickelten wir ein Getränk aus stark vergorenem Joghurt, das täglich verzehrt werden soll. So sind die wichtigsten Elemente der Ernähung bei TKTL1-positivem Krebs erfüllt, ohne dass die Krebspatienten ihre Essgewohnheiten komplett ändern müssen. Deshalb gibt es auch glukosearme Marmelade, Kakaonusscreme, Kekse und Kuchen sowie proteinreiche Nudeln. Herkömmlichen Lebensmittel, die für diese Kostform geeignet sind, finden die Patienten in einer Liste.

UG: Herr Dr. Coy, vielen Dank für dieses Gespräch!

 

erschienen in der Saarbrücker Zeitung am 6./7.6.2007