Wie uns das Fleisch madig gemacht wird
Fleisch plötzlich 36mal ungesünder?
In regelmäßigen Abständen veröffentlicht die Arbeitsgruppe “Global Burden of Disease Collaboration” (GBD = Globale Belastung durch Krankheiten) Berichte, um Risikofaktoren für Krankheiten zu beschreiben und die durch Krankheit und Tod verlorenen Lebensjahre zu berechnen. Die Erstellung und die Veröffentlichung dieser Berichte, die weltweit als Grundlage für gesundheitspolitische Maßnahmen genutzt und die häufig zitiert und als Maßstab angelegt werden, beruhen auf strengen methodischen Vorgaben – zumindest war das bis zum Bericht 2017 so.
Im neuen 2019er Bericht wurden Maßstäbe und Kriterien jedoch offenbar willkürlich geändert, worauf mehrere Wissenschaftler nun in einem ausführlichen Brief an die publizierende Fachzeitschrift The Lancet hingewiesen haben. So seien zur Beurteilung des Beitrags von “rotem” Fleisch nicht wie zuvor üblich und gefordert Studien herangezogen worden, die bereits begutachtet publiziert worden waren. Vielmehr hätten die Arbeitsgruppenmitglieder eigene Analysen vorgenommen, die jedoch methodische Mängel aufwiesen und deren Aussagen schwer nachprüfbar seien. Zudem hatte man völlig willkürlich die theoretische (!) untere Grenze für einen risikoarmen Fleischverzehr von 22,5 g täglich auf 0 g heruntergesetzt. Dies hatte zur Folge, dass der Beitrag des “roten” Fleisches zur globalen Krankheitsbelastung plötzlich 36mal größer erschien.
Datenmassage – so lange manipulieren, bis das Ergebnis “stimmt”?
Diese “neue” Einschätzung des Fleischkonsums, darauf weisen die Autoren des Leserbriefes an den Lancet eindringlich hin, stimmt nicht mit der veröffentlichen Fachliteratur überein. So hatte erst kürzlich eine Meta-Analyse ergeben, dass eine Verringerung des derzeitigen Fleischkonsums nur mit sehr geringer Wahrscheinlichkeit zu einer verringerten Krankheitsbelastung führen würde.
Zudem erfülle der jüngste GBD-Bericht nicht die vom Lancet geforderten Kriterien zur Veröffentlichtung globaler Gesundheitsdaten. Die Leserbriefschreiber bemängeln auch, dass mit der aktuellen Beurteilung der hohe Nährwert des Fleisches in Vergessenheit gerät und dass sich gerade im globalen Maßstab Nährstoffdefizite verstärken könnten (z. B. Eisenmangelanämie, Sarkopenie), wenn das Fleisch als per se ungesundes Lebensmittel dargestellt wird. Da der jüngste GBD-Bericht schon über 600mal zitiert wurde und auch bereits in gesundheitspolitische Maßnahmen eingeflossen ist, fordern sie die GBD-Arbeitsgruppe dringend auf, ihre Arbeit (wieder) strikt evidenz-basiert zu tun. Ihr Fazit: Bevor der 2019er GBD-Bericht nicht überarbeitet wurde, sollte er nicht als Grundlage nationaler und internationaler Gesundheitspolitik dienen.
Mein Senf dazu
Ich habe diese Entwicklung lange unterschätzt: das “Bashing” tierischer Lebensmittel, mal, weil sie angeblich ungesund sind, mal, weil sie angeblich das Weltklima zerstören. Beides ist Unfug! Doch der treibt mittlerweile ungeahnte Blüten und ich wundere mich, dass sich auch renommierte Fachzeitschriften wie der Lancet darauf einlassen. Cui bono, wem nützt das? Vielleicht all den Firmen und Startups, die hoch verarbeitete, zusatzstoffreiche, zusammengerührte “Fleisch- und Milch-Ersatzprodukte” herstellen?
Ich wundere mich auch darüber, dass es angesichts dieser Fehlinformationen nicht mehr Widerstand von Medizinern und Ernährungsfachleuten gibt, die m. E. derlei Unsinn klar benennen und verurteilen müssten. Wenn das so weitergeht, geht mit dem Ansehen der tierischen Lebensmittel nicht nur ein Stück Ernährungssicherheit verloren, sondern auch wichtiges kulturelles und gesundheitsrelevantes Wissen. Und das kann nicht gut sein.
Hinweis in eigener Sache
Quellen:
Singh-Povel, CM et al.: Nutritional content, protein quantity, protein quality and carbon footprint of plant-based drinks and semi-skimmed milk in the Netherlands and Europe. Public Health Nutrition, online am 25.2.2022
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