Skip to content

Ist das französische Paradoxon tot?

Das französische Paradoxon besagt, dass es in Frankreich trotz des relativ hohen Konsums an gesättigten Fettsäuren in From von Butter, Fleisch, Eiern und Käse seltener als in anderen Ländern zu Herz- und Gefäßerkrankungen kommt. Eigentlich ist das gar kein Paradoxon. Doch weil viele überzeugt waren (und bis heute teilweise sind), dass die genannten Grundlebensmittel schädlich für Herz und Gefäße seien, wurde es zu einem feststehenden Begriff. Heute soll es nicht darum gehen, dass man den Weinkonsum für die positiven Effekte der französischen Esskultur verantwortlich macht. Es soll vielmehr um einen Tweet zu einer neuen Auswertung der großen europäischen EPIC-Studie gehen, der den Anschein erweckt, das französische Paradoxon sei tot.

Darin war sinngemäß zu lesen, am französische Paradoxon stimme zwar, dass Koronare Herzkrankheiten (KHK) in Frankreich seltener seien als in anderen (europäischen) Ländern. Aber die neuen Analysen der EPIC-Studie hätten gezeigt, dass gesättigte Fettsäuren, hauptsächlich aus Butter und Käse, zu einem signifikanten Anstieg der KHK-Ereignisse führten, wenn sie anstelle von Kohlenhydraten gegessen würden. Als “Beweis” wurde eine Grafik abgebildet, von der hier der entscheidende Ausschnitt gezeigt ist.

Wahrscheinlichkeit, eine Koronare Herzkrankheit zu erleiden oder an ihr zu versterben, wenn 5 % der Kalorien aus Kohlenhydraten durch Fette bzw. gesättigte Fettsäuren ersetzt würden

Abbildungsausschnitt aus der Originalarbeit (Steur, M et al., JAHA 2021;10:e019814)

Wird den Franzosen also doch ihr ungenierter Butter- und Käsekonsum zum Verhängnis? Ist das französische Paradoxon damit gestorben? Wie immer in solchen Fällen lohnt ein Blick in die Originalarbeit 😉

Kein Zusammenhang zwischen KHK und Fett – Ausnahme Frankreich?

Die neue Auswertung der EPIC-Studie ist eine sogenannte Fall-Kohortenstudie an gut 16.000 der insgesamt über 385.000 Teilnehmern aus 9 europäischen Ländern, von denen gut 10.000 im Studienverlauf erstmals eine Koronare Herzerkrankungen bekamen oder daran verstarben. Ein Vorteil dieser Studie ist ihre Größe und dass sie Länder mit sehr verschiedenen Essgewohnheiten umfasst, von Griechenland und Spanien im Süden über Deutschland und den Niederlanden in der Mitte  bis hin zu Schweden und Dänemark im Norden Europas. Die Ernährungsdaten wurden anhand länderspezifischer Fragebögen zu Studienbeginn erhoben.

Die statistischen Auswertungen ergaben:

  • Kein Zusammenhang zwischen dem Konsum von Fetten insgesamt, von gesättigten, einfach oder mehrfach ungesättigten Fettsäuren mit dem Risiko, eine KHK zu erleiden oder an ihr zu versterben. Weder in den einzelnen Ländern noch in allen Ländern gemeinsam. Ausnahme Spanien: Hier korrelierte ein höherer Fettkonsum mit einem geringeren Krankheitsrisiko.
  • Keine Korrelation zwischen der Zufuhr gesättigter Fettsäuren und dem non-HDL-Cholesterin, das als Risikoindikator für Herz- und Gefäßerkrankungen gilt.
  • Keine Auswirkungen auf die Risiken, wenn im Rahmen einer Modellrechnung (!) ein Teil der Kohlenhydrate oder der mehrfach und einfach ungesättigten Fettsäuren durch gesättigte Fettsäuren ersetzt wurde – außer in Frankreich (dort ergab sich ein höheres Risiko, s. Abb. oben)!
  • Keine Auswirkungen auf die Risiken, wenn im Rahmen einer Modellrechnung (!) ein Teil der Fette bzw. der einzelnen Fettsäuregruppen durch Kohlenhydrate ersetzt wurde – außer in Frankreich (dort ergab sich ein geringeres Risiko)!
  • Verringerte Krankheits- und Sterberisiken mit steigendem Konsum gesättigter Fettsäuren aus Joghurt (-7 %), Käse (-2 %) und Fisch (-15 %), jeweils pro 1 % der Kalorienzufuhr berechnet.
  • Erhöhte Krankheits- und Sterberisiken mit steigendem Konsum gesättigter Fettsäuren aus rotem Fleisch (+7 %) und Butter (+2 %) (pro 1 % der Kalorienzufuhr), wobei der Wert für Butter gar nicht signifikant war.

Mein Senf dazu

Was sagt uns das alles? Zunächst, dass der Fettkonsum in Europa offenbar keine nennenswerte Assoziation zur Wahrscheinlichkeit einer Koronarerkrankung aufweist, weder quantitativ noch qualitativ. Aussagen über Ursachen und Wirkungen können aus solchen Beobachtungsstudien ohnehin nicht abgeleitet werden. Daher tun die Autoren auch gut daran, zu empfehlen, dass ihre Ergebnisse in weiteren Studien überprüft werden sollten.

Ob das erhöhte Risiko bei gesättigten Fettsäuren aus rotem Fleisch (Butter war ohnehin nicht signifikant) tatsächlich am Fleischkonsum liegt, kann die Studie ebenfalls nicht beantworten. Denn jene mit der höchsten Zufuhr an gesättigten Fettsäuren aßen weniger rotes Fleisch als jene, die die meisten ungesättigten Fettsäuren zu sich nahmen. Andererseits ging ein hoher Konsum gesättigter Fettsäuren mit dem geringsten Obst- und Gemüseverzehr einher, was dafür spricht, sich auch die Essmuster anzusehen. Im Übrigen ist eine Risikosteigerung von 7 % in einer Beobachtungsstudie eher marginal.

Und was ist mit Frankreich? Ob dort ein Austausch von Kohlenhydraten durch gesättigte Fettsäuren in der Größenordnung von 5 % der Tageskalorien das Koronarrisiko tatsächlich verdreifacht, wie es die obige Abbildung suggeriert, darf ebenfalls bezweifelt werden. Immerhin handelt es sich hier um eine Modellrechnung! Kein Franzose, keine Spanierin, keine Deutsche und kein Däne hat seine Ernährungsgewohnheiten geändert. Also alles Theorie, zumal bei solchen Modellrechnungen nicht berücksichtigt wird, aus welchen Lebensmitteln die Fettsäuren stammen. Das gilt natürlich für alle Ergebnisse dieser Rechenexempel. Allerdings fällt der französische Wert völlig aus der Reihe, wofür die Autoren keine gute Erklärung anbieten. Im Methodenteil ist jedoch zu lesen, dass die Angaben zu den Koronarerkrankungen in Frankreich – im Gegensatz zu den anderen Ländern – überhaupt nicht überprüft werden konnten. Das spricht m. E. eher für ein methodisches Problem bei den Daten aus Frankreich und dafür, dass das französische Paradoxon offenbar überlebt hat.

Quelle: Steur, M et al.: Dietary fatty acids, macronutrient substitutions, food sources and incidence of coronary heart disease: Findings from the EPIC-CVD case-cohort study across nine European countries. JAHA 2021;10:e019814

Mehr über meine Arbeit, meine Bücher sowie Veranstaltungs-Termine auf meiner Webseite ulrikegonder.de

Diplom Oecotrophologin, Freie Wissenschaftsjournalistin, neugierig, kritisch, undogmatisch

Dieser Beitrag hat 0 Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

An den Anfang scrollen