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Mehr Fett für Mutter und Kind

Fett hat mit 9 Kilokalorien die höchste Energiedichte aller Nährstoffe. Da es zudem im (unbegründeten) Verdacht steht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu fördern (Skeaff, 2009), hat sich die Ansicht durch gesetzt, eine relativ fettarme, kohlenhydratbetonte Ernährung sei bei Übergewicht und seinen Folgeerkrankungen präventiv und therapeutisch optimal. Die wissenschaftlichen Daten stützen diese Einschätzung jedoch nicht. So ergaben Langzeitbeobachtungsstudien, dass der Fettanteil der Nahrung keinen nennenswerten Einfluss auf die Gewichtsentwicklung hat. Auch die wichtigste europäische Langzeitstudie, die rund 90.000 Erwachsene aus fünf europäischen Ländern beobachtete, fand keinen Zusammenhang zwischen Menge oder Art der verzehrten Fette und der Entwicklung des Körpergewichts (Forouhi, 2009).

Es ist demnach nicht notwendig, fettarm zu essen, um Übergewicht vorzubeugen.

Entscheidend ist wohl, dass die individuelle Energiebilanz stimmt. Dies lässt sich mit unterschiedlich hohen Fettanteilen erreichen, denn für eine geringe Energiedichte kompletter Mahlzeiten ist weniger ihr Fettanteil als vielmehr ihr Wasser- und Ballaststoffgehalt ausschlaggebend. Um die Energiedichte gering zu halten, sollten daher weniger industriell vorgefertigte, raffinierte und konzentrierte Nahrungsmittel und dafür möglichst viele Lebensmittel wie Gemüse, Pilze, Beerenobst sowie Fleisch, Fisch und Geflügel auf dem Speiseplan stehen. Wichtig ist auch, die „Hungermacher“ Zucker und raffinierte Stärke zu verringern. Außer vielen Kalorien liefern sie wenig Nährstoffe, und sie sättigen schlecht. Sie lassen den Blutzucker- und den Insulinspiegel in die Höhe schnellen und erschweren so den Fettabbau, insbesondere bei Insulinresistenz.

Dennoch empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung, maximal 30 Prozent der Kalorien in Form von Fett aufzunehmen, ab dem vierten Schwangerschaftsmonat und während der Stillzeit dürfen es bis 35 Energieprozent sein (DGE, 2008). Unter Berücksichtigung der Eiweißempfehlung kommt man zu einem Kohlenhydratanteil von 53 bis 58 Prozent der Kalorien.

Bei Insulinresistenz Kohlenhydrate reduzieren

Werdende Mütter werden ab dem zweiten Trimester insulinresistent. Das ist völlig normal und gibt sich üblicherweise nach der Geburt wieder. Bei (stark) übergewichtigen Schwangeren ist diese Insulinresistenz jedoch ausgeprägter und geht mit ungünstigeren Fettstoffwechselwerten (erhöhte Triglyzeride, erniedrigtes HDL-Cholesterin) einher. Die starken Anstiege des Blutzuckers nach dem Essen wirken sich ungünstig auf die Prägung des kindlichen Stoffwechsels aus. Da es vor allem die Kohlenhydrate sind, die den Blutzucker und die Insulinspiegel im Blut ansteigen lassen, ist eine fettarme, kohlenhydratreiche Kost bei insulinresistenten, stark übergewichtigen ösen Schwangeren besonders ungünstig, weil sie die Problematik verstärkt.

Wenn viele Kohlenhydrate gegessen werden, sollte auf deren Glykämischen Index (GI) geachtet werden (McGowan, 2010): Je geringer der GI, umso flacher der Blutzuckeranstieg. Gemüse, Salate, die meisten Obstarten, Hülsenfrüchte und Vollkornprodukte haben einen geringen GI. Hohe GIs finden sich bei Süßgetränken und Weißmehlerzeugnissen. Australische Ärzte fanden bei Schwangeren, die ab dem zweiten Trimester Kohlenhydrate mit einem niedrigen GI bevorzugten, signifikant seltener Neugeborene, die für ihr Gestationsalter zu groß waren sowie einen geringeren Ponderalindex (Moses, 2006).

Um hohe Blutzuckerspitzen nach dem Essen zu vermeiden und die erforderliche Insulinmenge zu senken, ist es zudem wichtig, einen Teil der Kohlenhydrate durch Fett und Eiweiß zu ersetzen. Sie verzögern die Magenentleerung und sättigen länger. Zudem zeigen Studien, dass sich die Triglyzerid-, HDL-, Glukose- und Insulinwerte vebessern, wenn weniger Kohlenhydrate und dafür mehr Fett und Eiweiß gegessen wurde.

Die Ernährungswissenschaftlerin Annette Buyken vom Forschungsinstitut für Kinderernährung in Dortmund sieht für eine kohlenhydratreduzierte, eher fett- und eiweißbetonte Kost die stärkste Evidenz, einen Typ-2-Diabetes zu verhüten (Buyken, 2010). Auch bei Frauen mit Gestationsdiabetes erwies sich eine Kohlenhydratrestriktion als hilfreich: Lag der Kohlenhydratanteil unter 42 Prozent der Kalorien, fiel der Blutzuckeranstieg geringer aus und es wurde seltener Insulin zur Stoffwechselkontrolle benötigt. Zudem gab es weniger Kaiserschnitte und weniger Kinder, die groß für ihr Gestationsalter waren (Major, 1998).

Eine Pilotstudie der Universitätskinderklinik in Boston untersuchte den Effekt einer kohlenhydratreduzierten Kost bei 46 (stark) übergewichtigen Schwangeren. Im Vergleich zu den fettärmer ernährten trugen jene Frauen, die ihre Glykämische Last reduziert hatten, ihre Kinder 1,4 Wochen länger. Bei ihnen kamen die Kinder seltener vor der 38. Woche, dafür war der Kopfumfang etwas größer. Die Mütter profitierten durch bessere Fettstoffwechselwerte sowie einen Abfall des Entzündungsparameters C-reaktives Protein (Rhodes, 2010).

Risiken einer fettarmen Kost

Gegen eine (übermäßige) Fettreduktion spricht zudem, dass dies die Versorgung mit essenziellen Fettsäuren erschwert. Neben den beiden für alle Menschen essenziellen Fettsäuren Linol- und Alpha-Linolensäure, die in vielen pflanzlichen Ölen dominieren, sollte in der Schwangerschaft vor allem auf eine angemessene Zufuhr der langkettigen Omega-3-Fettsäure DHA (Docosahexaensäure) geachtet werden. Ihr kommt eine außerordentlich große Bedeutung für die neuronale Entwicklung des Ungeborenen zu. Um die neuronale Entwicklung optimal zu fördern, werden für Schwangere mindestens 200 mg DHA täglich empfohlen (Brenna, 2009). Dazu ist es nötig, ein- bis zweimal wöchentlich fetten Fisch oder entsprechend größere Mengen Fleisch, Eier oder Geflügel zu essen. Wer keinen Fisch mag oder verträgt, sollte mindestens 2 Esslöffel eines Alpha-Linolensäure-reichen Pflanzenöls wie Lein- oder Hanföl täglich verzehren.

Neue Empfehlungen nötig

Angesichts der dargelegten Daten fragt man sich, wann die Beschränkung der Fettzufuhr endlich abgeschafft wird. Die Daten sprechen derzeit dafür, eine Absenkung der Kohlenhydratzufuhr auf 30 bis 40 Prozent der Kalorien und eine Anhebung des Fettanteils auf etwa 40 Prozent zu empfehlen. Menschen mit Insulinresistenz dürften von einer weiteren Erhöhung des Fettanteils auf 40 bis 50 Prozent der Kalorien im Austausch gegen Kohlenhydrate profitieren.

Mehr Fett bedeutet auch mehr Geschmack im Essen, mehr Genuss und mehr Befriedigung und damit bessere Chancen, eine Ernährungsumstellung dauerhaft umzusetzen. Mit mehr Fett und Protein und entsprechend weniger Kohlenhydraten können Insulinresistente ihren gestörten Zucker- und Fettstoffwechsel weit besser in den Griff bekommen als mit einer fettarmen Kost (Cao, 2009). Und das funktioniert sogar ohne Gewichtsreduktion (Krauss, 2006). Dies ist vielleicht das wichtigste Argument gegen eine Fettreduktion in der Schwangerschaft.

Literatur

  • Brenna, T. J.; Lapillonne, A.: Background paper on fat and fatty acid requirements during pregnancy and lactation. Annals of Nutrition & Metabolism 55: 97-122 (2009)
  • Buyken, A. E.; Mitchell, P.; Ceriello, A. and Brand-Miller, J.: Optimal dietary approaches for prevention of type 2 diabetes: a life-course perspective. Diabetologia 53: 406-418 (2010)
  • Cao, Y.; Mauger, D. T.; Pelkman, C. E. et al.: Effects of moderate (MF) versus lower fat (LF) diets on lipids and lipoproteins: a meta-analysis of clinical trials in subjects with and without diabetes. Journal of Clinical Lipidology 3: 19-32 (2009)
  • DGE et al. (Hrsg.): Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr. Neuer Umschau Buchverlag, Neustadt (2008)
  • Forouhi, N. G.; Sharp, S. J.; Du, H. et al.: Dietary fat intake and subsequent weight change in adults: results from the European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition cohorts. American Journal of Clinical Nutrition 90: 1632-1641 (2009)
  • Hession, M.; Rolland, C.; Kulkarni, U. et al.: Systematic review of randomized controlled trials of low-carbohydrate vs. low-fat / low-calorie diets in the management of obesity and its comorbidities. Obesity Reviews10: 36-50 (2009)
  • Krauss, R. M.; Blanche, P. J.; Rawlings, R. S. et al.: Separate effects of reduced carbohydrate intake and weight loss on atherogenic dyslipidemia. American Journal of Clinical Nutrition 83: 1025-1031 (2006)
  • Major, C. A.; Henry, M. J.; De Veciana, M. and Morgan, M. A.: The effects of carbohydrate restriction in patients with diet-controlled gestational diabetes. Obstetrics & Gynecology 91: 600-604 (1998)
  • McGowan, C. A., McAuliffe, F. M.: The influence of maternal glycemia and dietary Glycemic index on gregnancy outcome in healthy mothers. British Journal of Nutrition 104: 153-159 (2010)
  • Moses, R. G.; Luebcke, M.; Davis, W. S et al.: Effect of a low-glycemic-index diet during pregnancy on obstetric outcomes. American Journal of Clinical Nutrition 84: 807-812 (2006)
  • Rhodes, E. T.; Pawlak, D. B.; Takoudes, T. C. et al.: Effects of a low-glycemic load diet in overweight and obese pregnant women: a pilot randomized controlled trial. American Journal of Clinical Nutrition 92: 1306-1315 (2010)
  • Skeaff, C. M.; Miller, J.: Dietary fat and coronary heart disease: summary of evidence from prospective cohort and randomized controlled trails. Annals of Nutrition & Metabolism 55: 173-201 (2009)

(erschienen in der Hebammen-Zeitschrift, 2010)

Diplom Oecotrophologin, Freie Wissenschaftsjournalistin, neugierig, kritisch, undogmatisch

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Guten Tag,
    Sie empfehlen bei Fischverzicht Pflanzenöle mit einem hohen Gehalt an Alpha-Linolensäure, wie z.B. Leinöl. Es gibt jedoch unterschiedliche Aussagen darüber, welchen Anteil der ALA der Körper in DHA und EPA umwandeln kann. Worauf stützen Sie sich bei Ihrer Empfehlung von zwei Esslöffeln Omega-3 reichen Öls pro Tag? Erhält der Körper in diesem Fall genug DHA und EPA?
    Danke!

    1. Guten Tag Herr Mayer, wie ich im Artikel geschrieben habe, ist die beste Option, EPA und DHA über fetten Fisch aufzunehmen. Wer das nicht will oder kann oder mag, kann mit ALA-reichen Ölen einen Beitrag leisten. Wie Sie richtig schreiben, sind die Umwandlungsraten allerdings gering – sie liegen individuell unterschiedlich wohl irgendwo zwischen etwa einem und zehn Prozent. Zwei Esslöffel Leinöl liefern rund 10 g ALA, woraus dann 0,1 bis 1 g EPA entstehen kann. Wie viel DHA daraus entsteht, weiß man nicht. Aus der Tatsache, dass nicht alle Vegetarierinnen an EPA- und DHA-Mangel leiden, kann man jedoch schließen, dass wohl eine gewisse Menge der nötigen langkettigen Omega-3-Fette entsteht. Sicherer ist jedoch in jedem Fall die Versorgung über tierische Lebensmittel.

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