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Mysterium gesättigte Fette – Cholesterin gelöst?

Foto: Canva proEs geschehen noch Zeichen und Wunder! Nachdem sich Butter-Freunde und Butter-Gegner jahrzehntelang darüber stritten, ob das leckere Milchfett Arterienverkalkung und Herzinfarkte auslöst oder nicht, legt eine junge norwegische Wissenschaftlerin nun eine neue Erklärung für die dem Streit zugrunde liegenden unterschiedlichen Beobachtungen vor!

Bewiesen ist sie noch nicht, aber sehr plausibel. Und hoffentlich führt sie dazu, dass diese Themen endlich einmal sachlich diskutiert werden! Soviel vorweg: Auch wenn der Cholesterinspiegel nach dem Genuss von Fetten mit vielen gesättigten Fettsäuren steigt, muss dies noch lange kein gesundheitliches Problem darstellen. Eher wird umgekehrt ein Schuh daraus. Aber der Reihe nach …

Wenn A nach B führt und B nach C, muss A noch lange nicht nach C führen

Die Frage, ob gesättigte Fettsäuren (sie stecken in größeren Mengen in Kokosfett, Milchfett und Fleischfett) nun schädlich sind oder nicht, spaltet die Fachwelt seit Jahrzehnten. Ebenso lange sind Verbraucher verunsichert darüber. Woran entzündete sich der Streit? Unter anderem an folgender Diskrepanz: Ein Mehrverzehr an gesättigten Fettsäuren kann (!) das Gesamt- und das LDL-Cholesterin erhöhen und hohe Cholesterinspiegel können (!) mit einem erhöhten Risiko für Herz- und Gefäßleiden einhergehen. Doch in keiner der bislang durchgeführten Studien konnte gezeigt werden, dass ein hoher Verzehr von gesättigten Fettsäuren das Krankheits- oder Sterberisiko erhöht. Mit anderen Worten: Zwar kann A (gesättigte Fette) zu B (erhöhtes Cholesterin) führen und B ist ein Risikofaktor für C (Herz- und Gefäßleiden). Doch der Beweis, dass A (gesättigte Fette) zu C (Herz- und Gefäßleiden) führt, konnte noch nie erbracht werden.

Die norwegische Gesundheitswissenschaftlerin Marit Kolby Zinöcker aus Oslo wurde von ihren Studenten immer wieder auf diese Diskrepanz angesprochen. Irgendwann begab sie sich auf die Suche nach einer Erklärung – und fand eine neue.  Nach ihren Recherchen und Forschungen könnte es schlicht so sein: Bei gesunden Menschen führt ein Mehr an gesättigten Fettsäuren dazu, dass diese auch vermehrt in Zellmembranen eingebaut werden, die dadurch fester werden. Um die wichtigen Funktionen der Membranen zu erhalten, nehmen die Zellen einen anderen festigenden Faktor aus den Zellmembranen heraus und geben ihn ans Blut ab: Cholesterin. Der Anstieg des Cholesterinspiegels im Blut ist demnach nur eine vollkommen normale, physiologische Anpassungsreaktion der Zellen und nichts Krankhaftes.

Umgekehrt sinkt der Blutcholesterinspiegel, wenn mehr ungesättigte Fettsäuren gegessen werden, weil sie die Zellmembranen flüssiger machen, was diese durch eine vermehrte Aufnahme von festigendem Cholesterin aus dem Blut kompensieren. Auch hier vermutlich physiologische Vorgänge zur Aufrechterhaltung der Funktion der Zellmembranen, die ja sonst je nach der Zusammensetzung einer Mahlzeit immens schwanken würden.

 Gesunde nicht mit Kranken vergleichen

Bleibt noch die Frage, warum hohe LDL-Cholesterinspiegel dennoch ein Risikofaktor für Herz- und Gefäß-Erkrankungen sein können. Auch damit hat sich Zinöcker auf erfrischend unprätentiöse und sachliche Art beschäftigt: Dies ist ihrer Einschätzung nach eine völlig andere Baustelle. Denn bei Menschen mit erhöhten Krankheitsrisiken ist ein erhöhter Cholesterinspiegel nur eine von mehreren häufigen Abweichungen. Häufig leiden die Personen auch an einer Insulinresistenz, an Bluthochdruck und an chronischen niederschwelligen Entzündungen – allesamt Anzeichen eines gestörten Stoffwechsels und die eigentlichen gesundheitsrelevanten Probleme. Erhöhte Cholesterinwerte können bei Kranken bzw. Risikopersonen also einen gestörten Stoffwechsel anzeigen und sind demnach völlig anders zu bewerten als bei Gesunden.

Mein Senf dazu

Diese als HADL abgekürzte Theorie (Homeoviscous Adaptation to Dietary Lipids, etwa: Anpassung der Viskosität an die Nahrungsfette) zur Erklärung wesentlicher Aspekte des Fettstoffwechsel bei Gesunden und Kranken erfreut mich regelrecht, bringt sie doch hoffentlich neue Bewegung in die festgefahrene Diskussion um die diversen Nahrungsfette. Natürlich sind noch viele weitere Fragen zu klären (z. B. langfristige Effekte). Doch ohne ein Verständnis der normalen, physiologischen Vorgänge wird sich so etwas Komplexes wie der Fettstoffwechsel nicht verstehen und sinnvoll regulieren lassen. Mit Zinöckers Arbeit sind wir diesem Ziel meiner Ansicht nach ein gutes Stück näher.

Mehr über meine Arbeit, meine Bücher sowie Veranstaltungs-Termine auf meiner Webseite ulrikegonder.de

Quellen

Zinöcker, MK et al., Am J Clin Nutr 2021;113:277-289  und Spilde, I, Sciencenorway.no vom 7.2.2021

Diplom Oecotrophologin, Freie Wissenschaftsjournalistin, neugierig, kritisch, undogmatisch

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. […] Auffällig ist, dass diese Studie so viele ungünstige Veränderungen fand, die – mit Ausnahme eines erhöhten LDL – in anderen Studien nicht oder nur vereinzelt beobachtet wurden. Im Fall des LDL-Cholesterins könnte es daran liegen, dass es sich um gesunde Probandinnen handelte, bei denen eine LDL-Erhöhung nach einer massiven Steigerung der Zufuhr gesättigter Fettsäuren schlichtweg physiologisch, also normal und nicht krankhaft sein kann (siehe Meldung vom 1.3.2021). […]

  2. Ich bin eine sehr genau untersuchte “Anekdote” (wissenschaftlich ein Einzelfall). Meine Cholesterinwerte sind traditionell hoch, durchwegs zwischen 200 und 300 mg, was wegen meiner fettreichen low-carb Ernährung bei Ärzten Entsetzen hervorrief. Mein Weg führte zu einer Angiographie, bei der eine Minikamera die Herzkranzgefäße darstellte. Und siehe da, die Ärzte waren erstaunt. Keine Plaque, keine Verengungen, alles rund ums Herz in bestem Zustand. Der untersuchende Arzt meinte nur, ich soll ruhig weiter so essen wie bisher. Für eine Meinungsänderung des Arztes war dieser Befund nicht genug. Immerhin lassen mich die Ärzte seit dem mit ihren Cholesterinsenkern in Ruhe.

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